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Sonntag, Dezember 22, 2024

Die Red Bull Romaniacs 2020 – die “Vertical Madness” Ausgabe der Extreme

Das Rennen hat stattgefunden.
Entgegen aller Erwartungen und gegen alle Widerstände. In diesem schwierigen Jahr, in dem die meisten internationalen Rennen abgesagt wurden. Das Jahr, in dem die Enduro World Championship (WESS) bis auf ein Rennen abgesagt wurde. Das Jahr, in dem der Veranstalter (mal wieder…) für verrückt erklärt wurde. Weil er in Zeiten der Krise einen Event durchführen wollte, den alle anderen für unmöglich hielten. Doch in Bezug auf “Unmöglich” scheint beim Veranstalter der Red Bull Romaniacs, Martin Freinademetz, irgend etwas verpolt zu sein. Denn er liebt unmöglich. Er organisiert Events mit einer derart komplexen Logistik, dass die Durchführung an sich eigentlich unmöglich ist. Er schickt seine Rennfahrer seit Jahren in “unmögliches” Gelände und freut sich diebisch, wenn sie ihn für verrückt erklären. 

Doch Freude gab es in diesem Jahr der Krise wenig. Als alle Veranstalter ringsum aufgaben versuchten Freinademetz und sein Team bis zuletzt am originalen Veranstaltungstermin im Juli festzuhalten. Nur um dann, alles vorbereitet, Flüge gebucht und Strecke markiert, wenige Wochen vorher das Handtuch zu werfen. Doch aufgeben kam für das Team um Freinademetz, die alle irgendwie gleich auf “extrem” geschaltet sind, nicht in Frage. So wurde das Rennen angepasst, neu geplant und in den Oktober verlegt, auch wieder entgegen allen Empfehlungen. Jetzt ist der Event Geschichte – und schreibt Geschichte:

  • Die einzige WESS-Veranstaltung im Jahr 2020
  • Die ersten Red Bull Romaniacs mit Schnee
  • Die erste Frau, die in der Goldklasse ins Ziel fährt
  • Die ersten Red Bull Romaniacs ohne Zuschauer, Prolog oder Gusterita Finish
  • Null Rettungseinsätze

Für die Teilnehmer waren die Herausforderungen im Vorfeld ähnlich extrem und begannen mit einem Wettlauf gegen die sich ständig ändernden Vorschriften, nicht gesicherter Verfügbarkeit von Flügen und unsicheren Grenzüberquerungen. Doch die Extremsportler sind schwer von ihrer Dosis Adrenalin fernzuhalten – viele Fahrer schlugen sich, unter teilweise wüsten Bedingungen durch, einige um die halbe Welt. Dann folgten die Sicherheitsbestimmungen vor Ort: Gesundheits-Tagebuch eine Woche im voraus, ärztliche Untersuchung als Bedingung und isolierte, individuelle Einschreibung und Logistik. Das waren die mit den Behörden vereinbarten Voraussetzungen, um den Event durchführen zu können.

Dem Bedarf nach “Sozialer Distanz” fielen vor allem die Zuschauer zum Opfer, die dem Veranstalter ausdrücklich untersagt waren. Damit war auch der beliebte Prolog im Zentrum der Stadt überflüssig. Stattdessen wurde ein Zeitfahren organisiert, die “Time Trials Qualification” (TTQ), die die Startreihenfolge für den ersten Tag festlegte, natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit…

Der erste Offroad-Tag führte das Rennen ins Olt-Tal mit spektakulären „Goldener Herbst“ Bedingungen, 100% Grip und magischen Farben. Der Tag wurde von Graham Jarvis gewonnen, dem bereits jetzt Manuel Lettenbichler mächtig Druck machte. Dieses Duell, sollte sich in einem Kampf um jeden Meter und Geschwindigkeiten am absoluten Limit durch das gesamte Rennen fortsetzen. An Tag 2 führte Letti, an Tag 3 wieder Jarvis und an Tag 4 lag wieder Letti vorn.

Offroad Tag 2 wurde zum “Musterschüler” für perfekte Fahrbedingungen, angenehmes Wetter und griffige Trails. Doch die Härte der Romaniacs fordert immer ihren Tribut, angenehme Bedingungen oder nicht. In der Goldklasse musste Taddy Blazusiak wegen einer rebellierenden Schulter aufgeben und Billy Bolt verlor bei einem üblen Sturz wertvolle Zeit und Energie. 

Am Offroad Tag 3 war es vorbei mit der Wellness-Stimmung, jetzt ging es ans Eingemachte. Strömender, kalter Regen erwartete die Fahrer am Morgen, die höheren Lagen waren sogar mit leichtem Schnee bedeckt. Die Rennleitung war jetzt genauso gefordert wie die Fahrer: die Track-Manager mussten ausschwärmen und die Rennstrecke rechtzeitig vor Ankunft der ersten Fahrer auf die “Regen-Option” um-routen. Das klappte reibungslos und der Renntag ging ohne größere Zwischenfälle über die Bühne. 

Das große Finale an Offroad Tag 4 fand am Samstag in Sibiu statt, nachdem das Rennen die Fahrer rund 100 km rund um Sibu geführt hatte. Diejenigen, die es durch die 4 ½ Tage geschafft hatten, wurden auf den Wendeltreppen eines Rohbaus noch einmal an ihre Grenzen gebracht.

Graham Jarvis hatte während der ersten drei Tage des Rennens im erbitterten Zweikampf gegen Manuel Lettenbichler einem Vorsprung von 27 Sekunden herausgefahren. Mit diesem Vorsprung ging er am Morgen des Offroad Tages 4 an den Start, seinen siebten Titel bei den Romaniacs in greifbarer Reichweite. Die Bedingungen entsprachen genau seinem Geschmack: nass, rutschig, schlechte Sicht – und er hatte einen guten Vorsprung. Doch ein kapitaler Crash in der Gegend von Cisnadioara zerstörte seine Hoffnungen: durch verlorene Zeit und den Ausfall des E-Starters musste er sich jetzt den Rest des Tages mit Letti duellieren, der sich regelrecht in ihn verbissen hatte: der junge Wilde, der dem alten Leitwolf die Führung abnimmt. Letti’s müheloser Fahrstil und die Vermeidung schwerwiegender Fehler sicherten dem jungen Deutschen den Gesamtsieg.

Das Duell der beiden Alphas um den ersten Platz auf dem Podium wurde durch einen ebenso heftigen Kampf um Platz 3 begleitet. Billy Bolt, Alfredo Gomez und Wade Young verbrachten den größten Teil des Tages zusammen auf der Strecke und schenkten sich keinen Meter. Der Brite Bolt fuhr sich “das Herz aus dem Leib” und legte fast den ganzen Tag Bestzeiten vor. So konnte er sich den Tagessieg als Trophäe einfahren, nahm aber in der Gesamtwertung nur Platz 5 mit nach Hause. Er gewann den Tag mit einem Abstand von 45 Sekunden vor Alfredo Gomez und 59 Sekunden vor Wade Young. Während Billy sich den Tagessieg sicherte, reichte dem Spanier Alfredo Gomez sein Vorsprung von den Vortagen, sich Platz drei in der Gesamtwertung einzuverleiben. Und das ist nicht der einzige Grund für den Spanier, sich zu freuen: seine Schwester Sandra Gomez schrieb heute auch Red Bull Romaniacs Geschichte: nach unsagbaren Strapazen auf einer Strecke, die den meisten männlichen Rennfahrern Alpträume verursacht, erreichte sie am Samstag klatschnass und völlig ausgekühlt als erste Frau das Finish der Gold-Klasse! Respekt !!

In der Silber-Klasse setzte sicher der Däne Peter Weiss nach einer durchweg konstanten Leistung während des Rennens und heftigen Kämpfen mit seinem Hauptkonkurrenten Fabien Poirot, dem Trial Weltmeister aus Frankreich durch. Der Deutsche Eddie Findling sicherte sich den Titel in der Bronze Klasse, wo mit Bernard Hugo auch ein Franzose auf Platz zwei landete. Der rumänische “Local” Emanuel Gyenes holte sich nach einem ähnlich interessanten Duell mit dem Franzosen Romain Courty den Titel der Iron-Klasse. Damit ist der zweite Platz in drei der fünf Klassen jeweils mit einem Franzosen besetzt! In der neu gegründeten Atom-Klasse setzte sich wiederum ein weiterer Rumäne an die Spitze: Dan Mateescu beendete das Rennen mit einem Abstand von über 20 Minuten gegenüber seiner Konkurrenz.

Martin Freinademetz am Ende der Veranstaltung und nach acht Monaten Kampf um das Rennen: “Es fühlt sich noch etwas unwirklich an, ich kann es kaum glauben, dass die Red Bull Romaniacs 2020 jetzt tatsächlich stattgefunden hat! Um an diesen Punkt zu kommen, mussten wir uns völlig neu aufstellen, dunkle, ungewisse Momente der Verzweiflung ertragen und auch finanziell tief in die Tasche greifen. Aber wir haben es geschafft, dank meines Ausnahme-Weltklasse-Teams, dank unserer treuen, überzeugten Partner und der Unterstützung der Rennfahrer. Wir haben den Beweis geliefert, dass es möglich ist, in diesen schweren Zeiten einen internationalen Motorsport Event durchzuführen. Dafür braucht es neben der nötigen Hartnäckigkeit allerdings auch viel Kooperation mit den Behörden, eine sorgfältige Umsetzung der Sicherheitsvorgaben und ein wenig Glück. Es war eine wichtige Lernerfahrung und hilft uns, den Weg für zukünftige Events zu ebnen.

Doch der lange Kampf hat sich gelohnt – und nachdem ich all die glücklichen Gesichter unserer Teilnehmer und das positive Feedback gesehen habe, würde ich es jederzeit wieder tun!”

Foto: Hila Tibi & Mihai Stetcu

Romaniacs
Denis Guenther
Denis Guenther
Denis Günther ist der Kopf vom motorsport-life.com Network. Seit 2003 hauptberuflich im Motorsport tätig ist er auf allen Rennstrecken in Europa zuhause. Egal ob Tourenwagen oder Endurosport, in allen Bereichen ist er der Experte.